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Hörbuchcover: "Aus der Triumphgasse" von Ricarda Huch

"Aus der Triumphgasse" von Ricarda Huch

Stand: 12.04.2024, 16:15 Uhr

Ricarda Huch schildert in "Aus der Triumphgasse" das Leben in einem Armenviertel von Triest. Die gekürzte Lesung mit Hellmut Lange fängt eindrucksvoll dieses Leben unter prekären Umständen ein. Eine Rezension von Christoph Vratz.

Ricarda Huch: Aus der Triumphgasse (Hörbuch)
Gelesen von Hellmut Lange.
Der Audio Verlag, 1 CD (Laufzeit: 7 Stunden und 57 Minuten), 15 Euro.

Triest. Beliebtes Urlaubsziel, gelegen an der Adria, kurz vor der slowenischen Grenze. Willkommen in – Bella Italia.

"Im Traume habe ich die Triumphgasse wiedergesehen. Ich stieg die steile, höckerige Straße herauf, die ich in Wirklichkeit so oft begangen habe, ohne wie damals vor dem Hause des heiligen Antonius Halt zu machen; erst als ich oben, am Ende der Gasse, angelangt war, blieb ich stehen und drehte mich um."

Es ist dunkel, denn es ist Nacht. Der Ich-Erzähler in Ricarda Huchs Roman "Aus der Triumphgasse" heißt Hugo von Belwatsch. Er ist ein wohlhabender Patrizier.

"Ich war schon zehn Jahre Eigentümer des Hauses zum heiligen Antonius, als ich es zum ersten Mal sah; mein Vater hatte es gekauft und nach seinem Tode war es in meinen Besitz übergegangen."

"Aus der Triumphgasse" von Ricarda Huch

Lesestoff – neue Bücher 18.04.2024 05:37 Min. Verfügbar bis 18.04.2025 WDR Online Von Christoph Vratz


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Dieses "gedenkreiche" Haus hat Hugo von Belwatsch lange nicht interessiert. Nun kommt der junge Mann und findet sich in einem Viertel von Triest wieder, das ihn mit Abscheu und Entsetzen erfüllt, aber auch mit einer gewissen Faszination. Das zeigt sich gleich bei der ersten Begegnung mit Riccardo, dem Sohn einer Mieterin.

"Er lag halb angekleidet auf einer breiten Bettstatt und deutete zur Entschuldigung, daß er mir nicht entgegenging, auf eine Krücke, die am Kopfende des Bettes lehnte. 'Manchmal gehe ich so leicht, dass man mir die Krücke kaum anmerkt, aber heute habe ich keinen guten Tag', sagte er, indem er mir das blasse, magere Gesicht zuwendete, aus dem mich ein paar dunkle, außerordentlich lebensvolle Augen ansahen."

Hugo von Belwatsch scheint auf die Begegnung mit diesen fremden Menschen und ihren Schicksalen nicht wirklich vorbereitet. Allerdings erweist er sich schnell als genauer Beobachter:

"Diese strahlenden Augen in dem abgezehrten Gesicht hatten etwas von Edelsteinen, die man in die Augenhöhlen einer Mumie eingesetzt hat: sie schienen nicht mitgelitten zu haben, unsterblich in dem gebrechlichen, knöchernen Gehäuse zu schweben und ihres unantastbaren Daseins ruhig und zuversichtlich zu genießen."

Im Laufe der Erzählung entsteht ein mosaikartiges Panorama an unterschiedlichen Lebensentwürfen: Leidenschaften, Pläne, Enttäuschungen, Sehnsüchte. Überall lauern Not und Elend, Verbrechen und Entbehrung. Doch immer wieder wird klar: Auch diese Menschen haben einen Anspruch zu leben. So entsteht ein gesellschaftskritisches, nicht im engeren Sinne historisches Bild derjenigen, die nicht im Wohlstand einer Stadt leben, die um 1900 eine Blütezeit erlebt; daher gerät für Hugo, den Erzähler, der Weg zu seinem Triester Haus immer mehr zu einer Bildungsreise der anderen Art. Meist gebannt schenkt er den Menschen sein Gehör:

"Ich hatte mit Anteil zugehört, aber doch meinen Widerwillen gegen die dumpfe Armseligkeit der Umgebung nicht überwinden können."

Aus dem anfänglichen Abscheu erwächst für Hugo immer häufiger eine Mischung aus Anteilnahme und Erregung.

Im Jahr 1902 hat Ricarda Huch ihren Roman "Aus der Triumphgasse", der den schlichten Untertitel "Lebensskizzen" trägt, veröffentlicht. Dass die Handlung in Triest spielt, hat auch biographische Gründe, denn die Autorin hatte sich dort einige Jahre zuvor mit ihrem Mann niedergelassen.

"Oberhalb des Domplatzes beginnt die eigentliche Altstadt, ein hässliches Labyrinth enger und schwarzer Gassen, die einen anmuten wie eine Höhle oder ein unterirdischer Keller, den man von fröhlichen Sonnenhügeln her betritt."

Der Schauspieler Hellmut Lange war einer der wichtigsten Fernsehschauspieler der 60er- und frühen 70er-Jahre, bekannt vor allem durch seine Rollen in "Lederstrumpf" oder "Das Halstuch". Markant, fast unverkennbar, ist seine Stimme. Das zeigt auch das vom SWR produzierte Hörbuch "Aus der Triumphgasse", für das der Originaltext behutsam gekürzt worden ist. Hellmut Langes Timbre ist das eines tiefen Baritons, direkt und warm zugleich. So passt es ideal zu den geschilderten Erlebnissen.

Geschickt wechselt Lange sein Sprechtempo: mal soghaft und mitreißend, mal nachdenklich und wie ein grübelnder Beobachter. So gibt er den Figuren in diesem gesellschaftlichen Roman-Mosaik eine eigene Stimme. Ricarda Huchs heute weitgehend vergessener Roman "Aus der Triumphgasse" erfährt mit diesem Hörbuch eine verdiente Renaissance.